Der Angsthund: Verstehen, begleiten, stärken

“Der soll sich nicht so anstellen!”, “Zieh ihn weiter, dann wird er schon merken, dass ihm nix passiert.”, “Du darfst selber keine Angst haben, dann hat dein Hund auch keine.”, “Ja, der ist halt ein Angsthund, der ist so!”. 

Diese und ähnliche Aussagen begegnen mir immer wieder. Und sie kommen von Menschen, die ehrlich gesagt keine Ahnung von Hunden haben und noch weniger von Angsthunden. Ja, das ist jetzt sehr hart formuliert. Aber all diese Aussagen gehen auf veraltetes Wissen oder persönliche Meinung zurück.

Doch seit 30 Jahren wird im Hundebereich unglaublich viel geforscht. Wir wissen heute viel mehr über ihre Gefühle, Emotionen und auch Motivationen. Und dieses Wissen macht es notwendig, einen anderen Blick auf seinen “Angsthund” zu bekommen. Die Achtsamkeits-Brille aufzusetzen. Denn dein Angsthund braucht ganz dringend Unterstützung – und zwar von dir!

Bettina Specht sagt dazu in ihrem Buch Angsthunde: “Angst ist eine der vielfältigsten und individuellsten Emotionen, die es gibt. Die Angst eines Hundes erfordert von Bezugsperson, Trainer und allen anderen im Umfeld viel Einfühlungsvermögen, Kreativität, Zeit und Wissen.”

Was versteht man unter einem Angsthund?

Der Begriff „Angsthund“ ist kein offizieller Fachbegriff, sondern dient als beschreibender Begriff für Hunde, die Ängste zeigen, die ihr Leben oder das Leben ihrer Menschen beeinträchtigen. Es ist quasi ein Überbegriff, um schnell zu sagen, worum es geht.

Biologisch gesehen unterscheiden wir aber beim Begriff “Angst” folgende Begriffe:

  • Furcht
  • Angst
  • Unsicherheit
  • Phobie
  • Panik


Jeder Hund ist individuell und hat unterschiedliche Bedürfnisse, zB das Bedürfnis nach Sicherheit. Was also der eine Hund als bedrohlich empfindet, kann für einen anderen völlig harmlos sein. Hier gilt es sehr behutsam und achtsam mit dem Hund umzugehen – er macht das nicht absichtlich und er “stellt sich auch nicht an”.

Wie entsteht Angst beim Hund?

Angstreaktionen wie Zittern, sich verstecken, schneller Herzschlag oder erhöhte Wachsamkeit sind natürliche Reaktionen, die auftreten, wenn ein Hund sich bedroht fühlt. Diese Reaktionen helfen dem Hund, sich in Sicherheit zu bringen oder gefährliche Situationen zu vermeiden, zum Beispiel durch Weglaufen oder Verstecken.

Angst ist eine starke innere Anspannung, die den Hund dazu bringt, vorsichtig oder zurückhaltend zu sein. Dabei spielt ein Bereich im Gehirn, die Amygdala, eine wichtige Rolle – sie hilft dem Hund, Gefahr zu erkennen und entsprechend zu reagieren.

Angst ist also ein biologisch angelegtes Reaktionsmuster zur Bewältigung und Vermeidung von Gefahren und Bedrohung.

Krankhafte Angst – auch pathologische Angst – bedeutet, dass die Angst viel stärker ist, als sie eigentlich sein müsste. Das Gehirn reagiert überempfindlich auf Dinge, die Angst auslösen. Die Amygdala ist hier zu aktiv, der Hund ist ständig wachsam und schreckhaft, selbst wenn keine echte Gefahr besteht.

Diese Überempfindlichkeit entsteht langsam – wie wenn ein Alarm immer lauter wird, weil er immer wieder ausgelöst wird. Dabei spielen bestimmte Stoffe im Körper, wie Hormone und Eiweiße, eine Rolle. Wenn das Gehirn zu oft „Fehlalarm“ gibt, entwickelt sich eine dauerhafte Angst, die sich in verschiedenen Formen von Angststörungen zeigt.

Deshalb spricht man auch von “Angst zieht Kreise”. Sie beginnt ganz klein und unsichtbar und wird mit der Zeit immer größer und sichtbarer. Wenn dein Hund also bereits starkes Angstverhalten zeigt, kannst du davon ausgehen, dass er massiv belastet ist und eine Therapie entsprechend lange dauert.

Ursachen für ängstliches oder Angstverhalten

Angstverhalten bei Hunden kann ganz vielfältige Ursachen haben. Oftmals ist es eine Mischung aus mehreren Faktoren.

  • Genetische Veranlagung: Manche Hunde sind aufgrund ihrer Zuchtgeschichte anfälliger für Angstverhalten. Das Wohlbefinden und die Aufzuchtsbedingungen der Mutterhündin spielen eine große Rolle bei der Entwicklung der Welpen.

  • Traumatische Erlebnisse: Negative Erfahrungen, wie z.B. Aufenthalt in einer Tötungsstation, Unfälle, Misshandlungen, Tierarztbesuche oder laute Geräusche können zu Traumata und Angststörungen führen.

  • Deprivation: Reizarmut und fehlende Sozialisierung in der Welpenzeit können die Entwicklung von Angstverhalten begünstigen.

  • Schmerzen: Körperliche Beschwerden können Angst und Aggressionen auslösen oder verstärken.

  • Stress: Chronischer Stress und Überforderung im Alltag können das Nervensystem des Hundes überlasten und zu Angstverhalten führen.

  • Aversives Training: Training, das auf Bestrafung oder negativen Reizen basiert, kann bei Hunden zu erhöhter Angst und Stress führen. Durch die Anwendung von Schmerz oder Einschüchterung wird das Vertrauen des Hundes in seinen Menschen untergraben, was die Wahrscheinlichkeit von Angstverhalten erhöht. Studien zeigen, dass solche Methoden das Risiko von Verhaltensproblemen und Aggressionen steigern können.

In der Praxis meiner Verhaltensberatungen zeigt sich oft, dass die Ursache für das gezeigte Angstverhalten in einer Mischung der genannten Faktoren zu finden ist.

Angst & Aggression sind eng miteinander verbunden

Bei den meisten jener Hunde, die in bestimmten Situationen nach vorne gehen, also Aggressionsverhalten zeigen, liegt eine Angstemotion zugrunde. Deshalb ist es völlig paradox, gerade diesen Hunde mit “der harten Hand” zu begegnen. Das nach vorne gehen ist für einige Angsthunde die Strategie, mit der Bedrohung umzugehen.

Leider wird das oft nicht erkannt und entsprechend falsch trainiert. Unter dem “klassischen Angsthund” verstehen die meisten immer noch den Hund, der sich hinter der Couch versteckt, bei Gewitter zusammenzuckt und zittert oder vor Menschen zurückweicht. Doch das ist nur eine mögliche Strategie, um mit der Bedrohung umzugehen.

Man spricht hier von den 4 “F” der Angst und meint damit mögliche Verhaltensmuster als Reaktion auf eine Bedrohung:

  • Erstarren / Einfrieren (Freeze)
  • Flüchten (Flight)
  • Kämpfen (Fight)
  • Herumalbern (Fiddle)

Was Angsthunden keinesfalls hilft

Ängste entstehen oft, wenn Hilflosigkeit und Kontrollverlust erlebt werden, das totale Verschwinden der Selbstwirksamkeit. Der Hund kann also nur Fortschritte machen, wenn er erleben darf, dass er in Situationen nicht hineingezwungen wird, sondern selber Entscheidungen treffen darf. Und sein Mensch immer für ihn da ist.

No Go’s im Umgang mit Angsthunden sind:

  • Bestrafung: Bestrafung verstärkt die Angst und das Vermeidungsverhalten und schädigt die Mensch-Hund-Beziehung.
  • Zwang: Den Hund in angstauslösende Situationen zu zwingen, verschlimmert die Angst und kann zu aggressivem Verhalten führen. Das klassische “Du musst ihm nur zeigen, dass ihm nix passiert.” ist kein Trainingsansatz, sondern Tierquälerei.
  • Ignoranz: Die Angst des Hundes zu ignorieren, hilft ihm nicht, seine Ängste zu bewältigen.



Mythos
: Du darfst deinen Hund nicht trösten, wenn er Angst hat!

Angst ist eine Emotion. Und Emotionen lassen sich nicht verstärken, indem man etwas Positives (freundliche Ansprache, Körperkontakt, Berührung, Leckerli oder Futter) hinzufügt. Das ist biologisch nicht möglich! Also lass dir nichts einreden: Wenn dein Hund Angstverhalten zeigt, unterstütze ihn, sei für ihn da und sei achtsam, was er in dieser Situation als angenehm und unterstützend empfindet.

Wenn du deinem Hund in einer Ausnahmesituation den Kontakt entziehst, verschlimmert du die Situation nur: “Wenn es richtig schlimm wird, kann ich mich nicht auf meinen Menschen verlassen!”


Mythos:
Du musst ihm nur oft genug in die Situation bringen, dann lernt er, dass ihm nix passiert

Einer der grausamsten Trainingsmethoden für Angsthunde, die leider noch weit verbreitet sind, obwohl tierschutzwidrig und verboten: Den Hund absichtlich in Situationen führen, wo er Angst hat. Frei nach dem Motto: “Schleif ihn nur oft genug dorthin, dann wird er irgendwann merken, dass ihm nix passiert.”

Der Fachbegriff hierfür ist “Flooding”. Also das “Überfluten” mit Angstauslösern. Der Hund wird dafür so verwahrt bzw. festgehalten, dass er nicht flüchten kann. Er ist also den Angstauslösern unreflektiert und ohne jegliche Strategie vollkommen ausgeliefert. Die meisten Hunde geben irgendwann auf, weil sie nicht mehr können. Das verkauft der aversive Trainer dann als Trainingserfolg.

In Wirklichkeit werden die Hunde emotional kaputt gemacht: Der Hund wirkt teilnahmslos, zeigt kein Abwehr-/Flucht- oder sonstiges Verhalten mehr, fühlt sich hilf- und machtlos. Im der Fachsprache nennen wir das “erlernte Hilflosigkeit”. Jeder Mensch mit etwas Empathie für seinen Fellfreund kann sich sicherlich vorstellen, wie grausam so ein Erlebnis ist.

So kannst du deinem Angsthund helfen

Ängste sind nicht festgemauert fürs Leben. Das Angstmuster, das die Hunde zeigen, hat ihnen einmal das Überleben gesichert. Nehmen wir zum Beispiel den ehemaligen Strassenhund, der Gefahren gegenüber sehr wachsam sein musste, damit er auf der Straße überleben kann. In seinem neuen Zuhause mit kuscheligem Körbchen muss er längst nicht mehr wachsam sein, dennoch ist das uralte Überlebensprogramm fest in diesem Hund verankert.

Zeigt der Hund Ängste, die sein Leben beeinträchtigen oder das Leben des Menschen beeinträchtigen, macht es Sinn, zu helfen:

  • Sicherheit und Geborgenheit: Ein stabiles, sicheres und vorhersehbares Umfeld ist für Angsthunde essenziell.
  • Geduld und Verständnis: Angsthunde brauchen Zeit, um Vertrauen aufzubauen und sich an neue Situationen zu gewöhnen.
  • Positive Verstärkung: Belohnungsbasiertes Training stärkt das Selbstvertrauen des Hundes und fördert erwünschtes Verhalten.
  • Empowerment: Dem Hund die Möglichkeit geben, eigene Entscheidungen zu treffen und Kontrolle über die Situation zu erlangen.
  • Individuelle Bedürfnisse erkennen und respektieren: Jeder Hund hat seine eigenen Ängste und Bedürfnisse.


Das Training mit Angsthunden erfordert viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Fachwissen. 

Empowerment, Enrichment und Beziehungsarbeit sind drei Schlagwörter, die für mich in jeder Mensch-Hund-Beziehung ganz oben stehen, aber bei Angsthunden DER Schlüssel zum Erfolg sind.

Was Erfolg bedeutet, ist sehr individuell und von den Erfahrungen des Hundes und seiner Persönlichkeit abhängig. Das Ziel sollte jedoch immer sein, Lebensqualität für Hund und Mensch herzustellen. Der Angsthund wird ein Leben lang ein Hund mit besonderen Bedürfnissen bleiben, also ein Hund, der “mehr” braucht: Mehr Achtsamkeit, mehr Unterstützung, mehr Management, mehr Empathie und auch mehr Wissen.

Nimm die Ängste deines Hundes ernst - er hat nur dich!

Angstverhalten bei Hunden ist ein ernstzunehmendes Problem, das die Lebensqualität des Hundes und seiner Menschen stark beeinträchtigen kann. Mit Geduld, Verständnis und professioneller Hilfe können Angsthunde lernen, ihre Ängste zu bewältigen und ein entspannteres Leben zu führen. 

Exkurs: Angststörung beim Hund

Auch unsere Hunde können unter einer generalisierten Angststörung leiden. Diese Hunde haben im Laufe des Tages überwiegend Angst, sind permanent in Alarmmodus, sehr reaktiv und wachsam. Meist handelt es sich dabei um traumatisierte Hunde, deprivierte Hunde oder Hunde, die unter chronischem Stress leiden.
 
Angststörungen beeinträchtigen die Lebensqualität der betroffenen Hunde und ihrer Menschen erheblich. Übermäßige Angst und Furcht gehen oft mit einem hohen Maß an (Angst-)Aggression gegenüber unbekannten Menschen und Hunden einher. Auch zeigen diese Hunde eine motorische Unruhe, Überreiztheit, Nervosität und Konzentrationsschwierigkeiten.
 
Weiterführende Links:
Was dein Angsthund wirklich braucht – und warum strafbasierter Umgang Gift ist kannst du in meinem Tierschutzblog lesen: Was dein Angsthund braucht, um sich sicher zu fühlen
Daniela Loibl mit Happy

Daniela Loibl

Hundeverhaltensberaterin & verhaltensmedizinische Tierpsychologin. Und Mama von Happy, einem ehem. Kettenhund aus dem Tierschutz mit komplexer PTBS und Deprivationssyndrom. Mein größter Lehrmeister und Entschleuniger.

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