PTBS beim Hund

Mit meinem Happy ist nicht nur ein Tierschutzhund mit unschöner Vergangenheit und Gewalterfahrungen eingezogen, sondern auch ein Hund, dessen Psyche durch diese Erlebnisse schwer gezeichnet ist. Das wusste ich natürlich nicht, als ich ihn mit knapp 8 Jahren adoptiert habe. 

Aber heute, 4 Jahre später, kann ich sagen, dass ein schwer traumatisierter Hund an meiner Seite lebt, der u.a. an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS) leidet. 

Wenn ich erzähle, dass mein Hund psychisch erkrankt ist, ernte ich oftmals ungläubige Blicke, Unverständnis und ein müdes Lächeln. Denn in den Augen der meisten Menschen ist ein Hund, der sich in seiner Umwelt nicht angemessen verhält, einfach nur ein ungezogener Hund, der dringend Erziehung braucht. 

Doch das, was ich nachfolgend hier beschreibe, lässt sich mit Erziehung in der Hundeschule nicht bearbeiten. Auch mit positivem Training steht man irgendwann an. Heute weiß ich auch, warum. 

Überblick

Was ist PTBS beim Hund?

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine schwere psychische Belastung, die nicht nur Menschen, sondern auch Hunde betreffen kann. Der Fachbegriff für Hunde ist canine-PTSD (Post Traumatic Stress Disorder), der Einfachheit halber bleiben wir aber in diesem Artikel bei der Bezeichnung PTBS.

PTBS entsteht durch extrem belastende Erfahrungen, die das Stresssystem zum Überlaufen gebracht haben.

Diese Erlebnisse könnten Misshandlungen, Vernachlässigung oder wiederholt bedrohliche Situationen und Gewalterfahrungen gewesen sein.

Der Hund war in diesen Momenten hilflos ausgeliefert und handlungsunfähig, vergleichbar mit einer Ohnmacht (“Es war schlimm und ich konnte nichts tun.” ). Er hat durch diesen Kontrollverlust ein Trauma erlitten, von dem er sich nicht mehr erholen konnte.

Die traumatischen Erlebnisse hinterlassen aber nicht nur Erinnerungen, sondern auch einen anhaltenden Zustand von Stress und Übererregung. Auch wenn die traumatischen Ereignisse längst vorbei sind, bleibt der Stress im Nervensystem des Hundes gespeichert. Dies führt zu Verhaltensauffälligkeiten und ständigen Alarm-Reaktionen, die auch im „Heute“ immer wieder ausgelöst werden. Wir sprechen hier von einer chronischen Stressbelastung.

Chronischer Stress zeigt sich nicht nur in unerwünschten Verhaltensweisen, sondern hat gravierende Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit eines Hundes. Er schwächt das Immunsystem und kann zu einer Reihe von Problemen führen: Verdauungsbeschwerden (Durchfall, Erbrechen, Magen-Darm-Empfindlichkeit), orthopädische Probleme (Gelenk- und Rückenprobleme), Herz-Kreislauf-Erkrankungen und hormonelle Störungen (z.B. Schilddrüsenerkrankungen). Stress aufgrund eines Traumas ist also mehr als eine Verhaltensauffälligkeit; er kann die Gesundheit deines Hundes ernsthaft beeinträchtigen.

Ursachen für PTBS beim Hund: Wie entsteht ein Trauma?

PTBS beim Hund kann durch ein einzelnes traumatisches Erlebnis (Monotrauma), eine Vielzahl von traumatischen Erfahrungen (Multiple Traumata) oder einem Entwicklungstrauma in früher Welpen- und Junghundezeit entstehen.

Gründe für eine Traumatisierung gibt es viele:

  • Behandlung durch Tierarzt oder Hundefrisör
  • Training und Erziehung mit veralteten Methoden (Strafe)
  • Verlust von Zuhause und Familie
  • Transport (v.a. bei Tierschutzhunden)
  • Futtertrauma (oft in Verbindung mit Training oder Einfangversuchen im Tierschutz)
  • Erzwungener Deckakt
  • Silvester

 

Aber auch Missbrauch, Vernachlässigung und dauerhafte Isolation können dazu beitragen und sind gerade bei Tierschutzhunden aus dem Ausland häufige Gründe für traumatische Erlebnisse.

Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass gerade der Umgang mit Bestrafungen oft unterschätzt wird (“Ach, das tut dem doch nix!”).

Aversiver Umgang – also Bestrafungen, um den Hund von einem Verhalten abzuhalten – ist ein massiver Stressor und zählt je nach Anwendung zu psychischer (zB Anschreien, Wegsperren) oder physischer Gewalt (Leinenruck, Wasserflasche etc.).

Gewalt im Umgang mit unseren Hunden ist nicht nur unfair, ethisch verwerflich und tierschutzrechtlich verboten, sondern auch einer der häufigsten Gründe für ein Trauma. Nicht nur bei Tierschutzhunden.

Wenn die Belastung für den Hund zu groß ist, kann sich aus aversivem Umgang eine PTBS entwickeln.

​​Leider gibt es immer noch viel zu viele Hundetrainer, die auf veraltete Methoden setzen: Von Rudelführer, Alphawolf und Weltherrschaft faseln. Alles nur, um ihre veralteten und oft gewaltsamen Trainingsmethoden salonfähig zu machen. Diese Maßnahmen sind bei richtiger Anwendung zwar effektiv, bergen aber ein enormes Risiko: Sie machen den Hund psychisch kaputt.

Oft trifft es auch die sogenannten “Problemhunde” oder Hunde spezieller Rassen, denen mit besonderer Härte begegnet wird: Je mehr diese Hunde nach Bestrafungen aufdrehen, aggressiver oder reaktiver werden, umso mehr Druck und Bestrafung erfahren sie. Es entsteht eine Spirale der Gewalt, die der Hund mit seiner psychischen Gesundheit bezahlt.

Bestrafungen können zum Beispiel sein:

  • Leinenruck (oft an einem Kettenhalsband, Kettenwürger oder einer Retrieverleine)
  • Kneifen oder Schläge in die Rippen oder Seite des Hundes
  • Festhalten der Wangen des Hundes oder Starren in die Augen des Hundes
  • bedrohliche Körpersprache dem Hund gegenüber (heute als “körpersprachliches Führen” bezeichnet)
  • verbales Schimpfen oder Anschreien des Hundes
  • Bespritzen des Hundes mit Wasser
  • den Hund zu Boden drücken oder auf den Rücken legen (Alpharolle)
  • soziale Isolation von Familie, Bezugspersonen und bekannten Tieren
  • Einsperren des Hundes in einen anderen Raum, in die Hundebox oder einen Zwinger
  • Nachwerfen von klappernden Dosen, Flaschen mit Steinen, Trainings Discs oder Wurfschellen
  • Verwendung eines Bellkontrollbandes

Was der Hund als Strafe empfindet, entscheidet er. Also auch das scheinbar harmlose Päckchen Taschentücher “Das tut dem doch nix!” kann zur Überlastung des Systems führen. Denn all diese Maßnahmen funktionieren über Angst-, Schmerz- und Schreckreize, die dadurch im Hund ausgelöst werden.

Eine detaillierte Übersicht über aversive Maßnahmen findest du in meinem Tierschutzblog „Gewalt im Hundetraining“.

Typische Symptome: So erkennst du PTBS beim Hund

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die ICD-10 entwickelt, eine weltweit anerkannte Klassifikation für Krankheiten und Gesundheitszustände.

Lt. ICD-10 umfassen die Symptome einer PTBS unter anderem:

  • Wiederholtes Erleben des Traumas in Erinnerungen und Träumen (Flashbacks)
  • Ein andauerndes Gefühl von Betäubtsein
  • Emotionale Stumpfheit
  • Teilnahmslosigkeit
  • Freudlosigkeit bis hin zu Depression
  • Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung (Wachsamkeit)
  • Übermäßige Schreckhaftigkeit
  • Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen können

 

Hunde mit PTS sind ängstlicher, aggressiver und leiden unter Hyperarousal. Hyperarousal beschreibt einen Zustand, in dem der Hund ständig in einem Zustand von Kampf oder Flucht verharrt. Das zeigt sich dann in Aggressionsverhalten, Angstverhalten oder anderen unerwünschten Verhaltensweisen wie abnormal-repetitiven Verhaltensweisen (zB Schwanzjagen, Schattenjagen, im Kreis drehen etc.)

Ein Merkmal, worin sich Hunde und Menschen unterscheiden, ist jenes der Flashbacks bzw. Träume. Hunde können uns nicht sagen, wovon sie gerade geträumt haben oder wie schlimm ihr Traum war. Allerdings sind Flashbacks ein eindeutiges Indiz für PTBS.

Da uns diese Rückschlüsse beim Hund fehlen, macht es eine Diagnose nicht immer einfach. Ein erfahrener Verhaltensmediziner kann hier unterstützen. Du selbst kannst ein Trigger-Tagebuch führen, in das du Beobachtungen und Auslöser einträgst, so wie auch Träume und deren Intensität.

Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass Happy auch nach vier Jahren noch massive Alpträume hat. In den ersten drei Jahren hatte er diese Alpträume mehrmals täglich, heute erkenne ich Phasen, in denen es mal weniger und mal wieder mehr ist. Seine Flashbacks verschwanden nach etwa einem Jahr vollständig. Vorher schreckte er täglich aus dem Tiefschlaf hoch, stürmte panisch zur Terrassentür, sprang daran hoch und bellte hinaus. Danach war er kaum zu beruhigen. Einen bestimmten Auslöser konnte ich nie finden – es könnte ein Traum, ein Geräusch oder ein Geruch gewesen sein, der ihn getriggert hat.

Ich vergleiche dieses Verhalten mit einer Panikattacke. Das vegetative Nervensystem, insbesondere der Sympathikus, wird überaktiviert. Der Sympathikus ist zuständig für die Kampf- oder Fluchtreaktion und wird bei wahrgenommener Gefahr oder bei massivem Stress aktiviert.

Der Hund reagiert nur noch, er versucht zu überleben und kann gar nicht mehr rational denken.

Die richtige Diagnose: So wird PTBS beim Hund festgestellt

Nicht jeder Hund, der ein traumatisches Erlebnis durchlebt, entwickelt automatisch eine PTBS. Ein traumatisches Erlebnis kann für den Hund sehr unterschiedlich ausfallen – sei es ein einmaliger Schock (wie ein Unfall) oder wiederholte, belastende Erfahrungen (wie Vernachlässigung, Misshandlung oder ständige Unsicherheit).

Die Auswirkungen solcher Erlebnisse können sehr unterschiedlich sein. In manchen Fällen, wie bei einer Angst vor dem Autofahren nach einem Unfall, können die Symptome als akute Folgestörung auftauchen, aber mit der Zeit und gezieltem Training wieder verschwinden.

In anderen Fällen können die Traumafolgen jedoch zu langfristigen Störungen führen, die einer speziellen Behandlung bedürfen. Man unterscheidet zwischen klassischer PTBS und komplexer PTBS (kPTBS):

  • PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung):
    PTBS tritt als Reaktion auf ein einzelnes, außergewöhnliches und extrem belastendes Ereignis auf. Dabei erlebt der Hund das Trauma immer wieder in Form von Flashbacks oder Alpträumen und zeigt Symptome wie erhöhte Reizbarkeit, Schlafstörungen und die Vermeidung von traumatischen Erinnerungen oder ähnlichen Situationen.

 

  • kPTBS (Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung):
    Im Gegensatz zur klassischen PTBS entsteht die komplexe PTBS durch wiederholte oder lang anhaltende Traumatisierungen, die oftmals in der Welpen-/Junghundezeit im Leben des Hundes ausgelöst werden.

    Die kPTBS zeigt sich mit allen Symptomen der PTBS, bringt jedoch zusätzlich noch Störungen in der Selbstregulation und Affektkontrolle mit. Langfristig zeigen sich Auswirkungen auf das emotionale und soziale Verhalten des Hundes. Ebenso kann der Hund Schwierigkeiten im Beziehungsaufbau zu Menschen und anderen Tieren zeigen.


Die Diagnose einer PTBS oder kPTBS beim Hund sollte immer von einem erfahrenen Verhaltensmediziner gestellt werden, der auf psychische Erkrankungen von Tieren spezialisiert ist. Nur ein Profi kann die Symptome richtig einordnen und von anderen möglichen Ursachen abgrenzen. Denn eine PTBS gleich niemals einer anderen, es gibt immer nur Ähnlichkeiten.

Wie äußert sich PTBS im Alltag?

Hunde, die unter PTBS leiden, reagieren auf Auslöser mit erhöhter Herzfrequenz, erhöhtem Blutdruck und starkem psychischem Stress.

Viele traumatisierte Hunde reagieren nicht nur auf den ursprünglichen Auslöser, sondern auch auf ähnliche Reize – man spricht von einer Generalisierung von Auslösern. Aus einem einzigen Trigger können so mit der Zeit viele werden, was die Lebensqualität des Hundes weiter einschränkt – und auch die seiner Menschen.

Typische Symptome im Alltag sind:

  • Generalisierung von Auslösern:
    Hunde mit PTBS zeigen häufig nicht nur Reaktionen auf exakt denselben Reiz (Trigger), der ursprünglich das Trauma ausgelöst hat, sondern auch auf Reize, die ähnlich sind. Ein Beispiel: Wurde der Hund ursprünglich durch laute Knallgeräusche traumatisiert, können später auch ähnliche Geräusche – wie das Zuschlagen einer Autotür – extreme Stressreaktionen auslösen.

    Happy hat zum Beispiel auf Gewitter, Silvesterknaller, Schüsse, bestimmte Töne aus dem Radio, rumpelnde LKWs und einiges mehr extrem heftig reagiert. Später kamen noch alltägliche Küchengeräusche wie Tellerklappern hinzu. Heute, nach 4 Jahren, lösen einige Geräusche keine Reaktion mehr aus, manche konnten wir positiv gegenkonditionieren und ein paar Trigger sind nach wie vor sehr stark präsent.

  • Chronische Übererregung:
    Viele traumatisierte Hunde befinden sich dauerhaft in einem Zustand erhöhter Wachsamkeit (Hypervigilanz) und Übererregung (Hyperarousal). Typisch sind Schlaflosigkeit, Schreckhaftigkeit, Unruhe, Konzentrationsprobleme oder das Unvermögen, zur Ruhe zu kommen.

    Auch Happy ist ein Hund, der in allen Situationen überreagiert hat – sei es aus Freude oder aus Angst. Er war einfach ständig “drüber”. Die Fähigkeit, Emotionen regulieren zu können, geht durch ein Trauma verloren. Zumindest vorübergehend, bei Traumafolgestörungen oder multiplen Traumata auch dauerhaft.

    Auch Konzentrationsprobleme nahm ich in den ersten beiden Jahren sehr stark wahr. Das Lernen eines einfachen Signals wie “Pfote geben” war für ihn unmöglich. Einfache Beschäftigungsangebote muss ich immer noch sehr behutsam anbieten, um sein Gehirn nicht alleine durch den Anblick von etwas Neuem zu überfordern.

  • Dissoziation und Orientierungsverlust:
    Bei starken Triggern kann es zu dissoziativen Zuständen kommen – der Hund ist nicht mehr ansprechbar, wirkt abwesend, zeigt einen starren Blick oder läuft plötzlich orientierungslos umher.

    Dieses „nicht mehr ansprechbar sein“ ist mitunter das Schwierigste in der Bearbeitung von Trauma und beim Erlernen neuer Fähigkeiten. Wenn der Hund „off“ ist, kann er auch nicht lernen. Dieses Problem hatten Happy und ich anfangs bei vielen Reizen draußen, er hing sofort schreiend in der Leine: Panikmodus. Egal ob Mensch, Hund, Fahrzeug, Vogel, Reh oder Rascheln im Gebüsch.

    Mittlerweile zeigt er dieses extreme Verhalten nur mehr bei plötzlichen Hundebegegnungen, Paragleitern und Vögeln, die tief über uns hinwegfliegen.

  • Körperliche Symptome:
    Chronischer Stress kann auch körperliche Symptome auslösen: Verdauungsprobleme, Hauterkrankungen (durch Lecken/Kratzen), Muskelverspannungen und Schmerzen. Ich kenne das von Happy nur zu gut. Die Behandlung einzelner Symptome reicht oftmals nicht, da hier viele Faktoren ineinandergreifen. Leider ist das Thema “chronischer Stress” in der Tiermedizin noch nicht fest verankert. Man wird nicht immer ernst genommen und muss sich viel Wissen selbst aneignen und die passenden Fachleute suchen.

 

Zusammenfassend: Das Stresssystem des Organismus wird durch das Trauma derart überlastet, dass es sich danach nicht mehr vollständig erholen kann. Das führt zum einen dazu, dass wir Hunde haben, die ihre Überforderung mit verstärktem Aggressionsverhalten zum Ausdruck bringen – so wie Happy. Und zum anderen gibt es Hunde, die sich gar nicht mehr verhalten – sie rutschen in die sogenannte „erlernte Hilflosigkeit“.

Gerade bei diesen Hunden wird die Angst oft übersehen, da sie im Alltag „sehr praktisch“ sind und kaum auffallen. Drückt sich der Hund jedoch nur noch in die hinterste Ecke oder verlässt das Haus nicht mehr, werden die meisten Menschen hellhörig. Der oft gegebene Tipp „Da muss er durch, dann wird er schon sehen, dass ihm nichts passiert“ ist nicht nur unfair, sondern auch tierschutzwidrig (Stichwort: Flooding). Er bringt den ohnehin stark belasteten Hund noch weiter in den psychischen Ausnahmezustand, sein System droht zu kippen.

Warum Bindung und Sicherheit für traumatisierte Hunde so wichtig sind

Ein traumatisierter Hund lebt in einem dauerhaften Zustand von Unsicherheit. Die Welt um ihn herum fühlt sich für ihn unberechenbar und gefährlich an — selbst dann, wenn objektiv keine Bedrohung besteht. Genau hier kommt deine Rolle als Bezugsperson ins Spiel. Du kannst deinem Hund helfen, wieder Vertrauen ins Leben zu fassen.

Bindung bedeutet, dass dein Hund sich auf dich verlassen kann. Er lernt, dass du vorhersehbar handelst, seine Bedürfnisse erkennst und ihn nicht überforderst. Diese verlässliche Sicherheit gibt ihm Halt und Orientierung in einer für ihn chaotischen Welt. Sicherheit entsteht, wenn dein Hund merkt: „Ich werde verstanden. Ich werde gesehen. Ich bin nicht allein.“

Besonders bei Hunden mit PTBS oder Deprivationssyndrom ist diese Bindung der wichtigste Schutzfaktor. Studien zeigen, dass soziale Unterstützung nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Hunden Stress reduziert und die Verarbeitung von Belastungen erleichtert.

Das heißt ganz praktisch: Du bist der sichere Hafen deines Hundes. Über gemeinsame Routinen, achtsames Beobachten und respektvolles Miteinander stärkst du Schritt für Schritt seine innere Stabilität.

Dabei gilt immer: Vertrauen lässt sich nicht erzwingen. Es wächst langsam, durch wiederholt positive Erfahrungen. Und zwar in dem Tempo, das dein Hund vorgibt.

Der richtige Umgang mit Bindung in der Praxis

Es ist wichtig, dass du deinen Hund nicht zu etwas drängst, was er noch nicht kann. Besonders bei traumatisierten Hunden ist es entscheidend, sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen, ohne sie zu überfordern. Jeder Hund hat sein eigenes Tempo, und das solltest du respektieren.

Schrittweise positive Erlebnisse sind der Schlüssel. Wenn du deinem Hund wieder Vertrauen schenkst, entstehen aus kleinen Erfolgen große Fortschritte. Mehr Infos zum Thema Bindung findest du in meinem Tierschutzblog “Mensch-Hund-Bindung”.

Ein respektvolles, geduldiges Miteinander ist nicht nur der Weg zu einer starken Bindung, sondern auch zu einem Hund, der emotional stabiler und sicherer in seiner Welt wird. Wenn du ein Umfeld schaffst, in dem dein Hund sich sicher fühlt und positive Erfahrungen machen kann, wirst du sehen, wie seine Ängste langsam zurücktreten und er immer mehr Vertrauen zu dir gewinnt.

Behandlungsmöglichkeiten & Training für Hunde mit PTBS

Wenn du dir nun Trainingstipps für einen Hund mit PTBS erwartest, muss ich dich leider enttäuschen. Das Thema ist sehr komplex und vor allem individuell. Bei betroffenen Hunden geht es vorrangig darum, sie zu stabilisieren, damit sie überhaupt in der Lage sind, neues Verhalten zu lernen, sich in ihrer Umwelt sicher zu fühlen und kluge Entscheidungen zu treffen.

Wir befinden uns hier meilenweit entfernt von klassischem Training oder den üblichen Tipps, die du vielleicht schon gehört hast. Bei traumatisierten Hunden geht es nicht darum, Gehorsam zu erreichen oder auf schnelle Ergebnisse hinzuarbeiten. Vielmehr müssen wir an der Beziehung arbeiten – nicht an der Erziehung.

Die Stabilisierung des Hundes, die Förderung der Selbstregulation und das Schaffen einer sicheren Bindung stehen im Vordergrund.

Die Phase der Stabilisierung ist sehr individuell und abhängig von der Belastung des Hundes. Ein zentraler Bestandteil der Stabilisierung ist, den Hund bewusst vor Situationen zu schützen, die ihn überfordern oder re-traumatisieren könnten. Das Hauptziel der Stabilisierungsphase ist, das Stress-System zu beruhigen.

Bei Happy kann ich sagen, dass diese Phase auf jeden Fall 2 Jahre gedauert hat und wir nur durch den Einsatz von Psychopharmaka eine deutliche Entspannung erreicht haben. Mit meinem Wissen von heute hätte ich diesbezüglich viel früher unterstützen sollen.

Eine wichtige Sache, die für alle betroffenen Hunde gilt, ist die Selbstregulation. Nur wenn der Organismus in der Lage ist, sich selbst zu regulieren (Stichwort: Aufregen – Abregen), ist eine Bearbeitung von Trauma überhaupt möglich. Je besser sich der Hund regulieren kann, desto weniger überfluten ihn Gefühle, desto weniger dissoziiert er und desto mehr kann er im Hier und Jetzt bleiben. Der Hund ist dann in der Lage, eine Pause zwischen Reiz und Reaktion zu machen, was ihm Handlungsfähigkeit gibt.

In vielen Fällen kann die Unterstützung durch Medikamente notwendig sein. Psychopharmaka können dabei helfen, das Stressniveau zu senken und dem Hund zu ermöglichen, mit weniger Angst und Übererregbarkeit in den Alltag zu gehen. Medikamente sind jedoch keine Wunderpille und müssen in enger Zusammenarbeit mit einem Verhaltensmediziner und einem erfahrenen Verhaltenstherapeuten eingesetzt werden. Mehr zum Thema findest du in meinem Artikel “Psychopharmaka für Hunde”.

Ist PTBS beim Hund heilbar?

PTBS beim Hund ist leider nicht heilbar. Allerdings können die positiven Erlebnisse im Leben des Hundes so stark werden, dass sie das Trauma in gewissem Maße „zurückdrängen“.

Wenn jedoch ein starker Trigger auftaucht, kann die Reaktion des Hundes schnell wieder die alten Muster und Verhaltensweisen hervorrufen.

Dennoch zeigt sich mit der Zeit, dass der Hund in der Lage ist, sich nach dem Auslösen eines Trigger besser zu regulieren.

In einigen Fällen kann er sogar ein Alternativverhalten anbieten, das ihm hilft, mit der Situation besser umzugehen.

PTBS beim Hund erkennen und helfen: Für mehr Lebensqualität von Hund & Mensch

Das Leben mit einem Hund, der an PTBS leidet, ist gerade in der Anfangszeit wirklich herausfordernd. Es ist anstrengend, oft frustrierend und verlangt viel Zeit, Wissen und Geduld. Doch wenn du dich darauf einlässt, fängst du an, die kleinen Erfolge zu feiern, achtsam zu sein und das Vertrauen zwischen dir und deinem Hund wächst langsam, aber sicher. Du siehst, wie dein Hund immer mehr aus seiner Angst herauskommt und mit der Zeit sogar auf bestimmte Reize anders reagiert. Es ist ein langer Weg, aber er ist unglaublich bereichernd.

Moderne Hundeerziehung hat eben nichts mit strikten Kommandos und Verhaltensdruck zu tun. Vielmehr geht es darum, auf die Bedürfnisse deines Hundes zu achten, ihn zu stabilisieren und eine vertrauensvolle Bindung aufzubauen.

Wenn du achtsam auf die Signale deines Hundes achtest und ihn nicht wissentlich Situationen aussetzt, die ihn überfordern, hilfst du ihm dabei, sich langsam sicherer zu fühlen – und vermeidest, dass alte Wunden erneut aufreißen.

Erwähnte Links:

Daniela Loibl mit Happy

Daniela Loibl

Hundeverhaltensberaterin & verhaltensmedizinische Tierpsychologin. Und Mama von Happy, einem ehem. Kettenhund aus dem Tierschutz mit komplexer PTBS und Deprivationssyndrom. Mein größter Lehrmeister und Entschleuniger.

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