Der Angsthund
Verstehen, begleiten, stärken
“Der soll sich nicht so anstellen!”, “Zieh ihn weiter, dann wird er schon merken, dass ihm nix passiert.”, “Du darfst selber keine Angst haben, dann hat dein Hund auch keine.”, “Ja, der ist halt ein Angsthund, der ist so!”.
Diese und ähnliche Aussagen begegnen mir immer wieder. Und sie kommen von Menschen, die ehrlich gesagt keine Ahnung von Hunden haben und noch weniger von Angsthunden. Ja, das ist jetzt sehr hart formuliert. Aber all diese Aussagen gehen auf veraltetes Wissen oder persönliche Meinung zurück.
Doch seit 30 Jahren wird im Hundebereich unglaublich viel geforscht. Wir wissen heute viel mehr über ihre Gefühle, Emotionen und auch Motivationen. Und dieses Wissen macht es notwendig, einen anderen Blick auf seinen “Angsthund” zu bekommen. Die Achtsamkeits-Brille aufzusetzen. Denn dein Angsthund braucht ganz dringend Unterstützung – und zwar von dir!
Bettina Specht sagt dazu in ihrem Buch Angsthunde: “Angst ist eine der vielfältigsten und individuellsten Emotionen, die es gibt. Die Angst eines Hundes erfordert von Bezugsperson, Trainer und allen anderen im Umfeld viel Einfühlungsvermögen, Kreativität, Zeit und Wissen.”
Was ist ein Angsthund? Definition und Grundlagen
Der Begriff „Angsthund“ ist kein offizieller Fachbegriff, sondern dient als beschreibender Begriff für Hunde, die Ängste zeigen, die ihr Leben oder das Leben ihrer Menschen beeinträchtigen. Es ist quasi ein Überbegriff, um schnell zu sagen, worum es geht. Biologisch gesehen unterscheiden wir aber beim Begriff “Angst” mehrere Begriffe.
Die verschiedenen Formen von Angst beim Hund:
- Furcht
- Angst
- Unsicherheit
- Phobie
- Panik
Jeder Hund ist individuell und hat unterschiedliche Bedürfnisse, z.B. das Bedürfnis nach Sicherheit. Was also der eine Hund als bedrohlich empfindet, kann für einen anderen völlig harmlos sein. Hier gilt es sehr behutsam und achtsam mit dem Hund umzugehen – er macht das nicht absichtlich und er “stellt sich auch nicht an”.
Furcht vs. Angst: Ein wichtiger Unterschied
Auch wenn wir die Begriffe im Alltag oft synonym verwenden, helfen sie uns im Training, genauer hinzusehen:
- FURCHT ist eine Reaktion auf eine konkrete, erkennbare Bedrohung im Hier und Jetzt. Dein Hund sieht den Staubsauger, den Mann mit dem Hut oder den knurrenden Artgenossen und reagiert darauf. Die Bedrohung ist greifbar.
- ANGST ist diffuser. Sie ist eine Erwartungshaltung auf eine Bedrohung, die (noch) gar nicht da ist oder nur sein könnte. Ein Hund, der sich schon beim Geräusch des Schlüssels versteckt, weil er erwartet, alleingelassen zu werden, zeigt Angst. Angst ist oft auf die Zukunft gerichtet („Gleich passiert etwas Schlimmes“).
Während Furcht uns hilft, auf eine spezifische Situation zu trainieren (z.B. den Staubsauger positiv zu verknüpfen), ist Angst oft komplexer, da sie einen inneren Zustand beschreibt, der durch viele verschiedene Auslöser (Trigger) aktiviert werden kann. Angst ist sehr komplex und sehr individuell.
Was also der eine Hund als bedrohlich empfindet, kann für einen anderen völlig harmlos sein. Hier gilt es sehr behutsam und achtsam mit dem Hund umzugehen – er macht das nicht absichtlich und er “stellt sich auch nicht an”.
Wie entsteht Angst beim Hund? Die biologischen Grundlagen
Angstreaktionen wie Zittern, sich verstecken, schneller Herzschlag oder erhöhte Wachsamkeit sind natürliche Reaktionen, die auftreten, wenn ein Hund sich bedroht fühlt. Diese Reaktionen helfen dem Hund, sich in Sicherheit zu bringen oder gefährliche Situationen zu vermeiden, zum Beispiel durch Weglaufen oder Verstecken.
Angst ist eine starke innere Anspannung, die den Hund dazu bringt, vorsichtig oder zurückhaltend zu sein. Dabei spielt ein Bereich im Gehirn, die Amygdala, eine wichtige Rolle – sie hilft dem Hund, Gefahr zu erkennen und entsprechend zu reagieren.
Angst ist also ein biologisch angelegtes Reaktionsmuster zur Bewältigung und Vermeidung von Gefahren und Bedrohung.
Krankhafte Angst – auch pathologische Angst – bedeutet, dass die Angst viel stärker ist, als sie eigentlich sein müsste. Das Gehirn reagiert überempfindlich auf Dinge, die Angst auslösen. Die Amygdala ist hier zu aktiv, der Hund ist ständig wachsam und schreckhaft, selbst wenn keine echte Gefahr besteht.
Diese Überempfindlichkeit entsteht langsam – wie wenn ein Alarm immer lauter wird, weil er immer wieder ausgelöst wird. Dabei spielen bestimmte Stoffe im Körper, wie Hormone und Eiweiße, eine Rolle. Wenn das Gehirn zu oft „Fehlalarm“ gibt, entwickelt sich eine dauerhafte Angst, die sich in verschiedenen Formen von Angststörungen zeigt.
Deshalb spricht man auch von “Angst zieht Kreise”. Sie beginnt ganz klein und unsichtbar und wird mit der Zeit immer größer und sichtbarer. Wenn dein Hund also bereits starkes Angstverhalten zeigt, kannst du davon ausgehen, dass er massiv belastet ist und eine Therapie entsprechend lange dauert.
Die leisen Anzeichen: Angst frühzeitig erkennen
Wir neigen dazu, Angst erst dann zu erkennen, wenn sie laut wird: Zittern, Bellen, Fluchtversuche oder Verstecken. Doch die meiste Zeit „flüstert“ dein Hund seine Unsicherheit, lange bevor er „schreit“. Das Problem: Wenn wir dieses Flüstern übersehen, muss der Hund lauter werden.
Achte auf diese subtilen Anzeichen von Stress und Unsicherheit (auch Beschwichtigungssignale oder „Calming Signals“ genannt), die oft schon vor der offensichtlichen Angst gezeigt werden:
- Gähnen
- Über Lippen oder Nase lecken
- Blinzeln, Augen zusammenkneifen oder den Blick abwenden
- Den Kopf wegdrehen
- Erstarren (Freeze): Ein kurzes Innehalten, bevor eine Reaktion folgt
- Hecheln
- Angelegte Ohren und/oder eingeklemmte Rute
Schuppenbildung (plötzlich auftretende „Stress-Schuppen“ im Fell)
Je früher du diese Signale erkennst und reagierst (z.B. indem du Abstand zum Auslöser schaffst), desto besser kannst du deinen Hund unterstützen. Du zeigst ihm damit: “Ich habe dich verstanden und passe auf dich auf.”
Ursachen für ängstliches Verhalten oder Angstverhalten beim Hund
Angstverhalten bei Hunden kann ganz vielfältige Ursachen haben. Oftmals ist es eine Mischung aus mehreren Faktoren.
- Genetische Veranlagung: Manche Hunde sind aufgrund ihrer Zuchtgeschichte anfälliger für Angstverhalten. Das Wohlbefinden und die Aufzuchtbedingungen der Mutterhündin spielen eine große Rolle bei der Entwicklung der Welpen.
- Traumatische Erlebnisse: Negative Erfahrungen, wie z.B. Aufenthalt in einer Tötungsstation, Unfälle, Misshandlungen, Tierarztbesuche oder laute Geräusche können zu Traumata und Angststörungen führen./li>
- Deprivation: Es fehlen die Reize, die Gehirn, Sinnesorgane, Körper und Stress-System zur optimalen Entwicklung brauchen. Deprivation in der Welpenzeit kann die Entwicklung von Angstverhalten begünstigen.
- Schmerzen: Körperliche Beschwerden können Angst und Aggressionen auslösen oder verstärken.
- Stress: Chronischer Stress und Überforderung im Alltag können das Nervensystem des Hundes überlasten und zu Angstverhalten führen.
- Aversives (strafbasiertes) Training: Training, das auf Bestrafung oder negativen Reizen basiert, kann bei Hunden zu erhöhter Angst und Stress führen. Durch die Anwendung von Schmerz oder Einschüchterung wird das Vertrauen des Hundes in seinen Menschen untergraben, was die Wahrscheinlichkeit von Angstverhalten erhöht. Studien zeigen, dass solche Methoden das Risiko von Verhaltensproblemen und Aggressionen steigern können.
In der Praxis meiner Verhaltensberatungen zeigt sich oft, dass die Ursache für das gezeigte Angstverhalten in einer Mischung der genannten Faktoren zu finden ist.
Angst & Aggression sind eng miteinander verbunden
Bei den meisten jener Hunde, die in bestimmten Situationen nach vorne gehen, also Aggressionsverhalten zeigen, liegt eine Angstemotion zugrunde. Deshalb ist es völlig paradox, gerade diesen Hunde mit “der harten Hand” zu begegnen. Das nach vorne gehen ist für einige Angsthunde die Strategie, mit der Bedrohung umzugehen.
Leider wird das oft nicht erkannt und entsprechend falsch trainiert. Unter dem “klassischen Angsthund” verstehen die meisten immer noch den Hund, der sich hinter der Couch versteckt, bei Gewitter zusammenzuckt und zittert oder vor Menschen zurückweicht. Doch das ist nur eine mögliche Strategie, um mit der Bedrohung umzugehen.
Man spricht hier von den 4 “F” der Angst und meint damit mögliche Verhaltensmuster als Reaktion auf eine Bedrohung:
- Freeze – Erstarren / Einfrieren
- Flight – Flüchten
- Fight – Kämpfen
- Fiddle – Herumalbern (Übersprungshandlung)
Was Angsthunden keinesfalls hilft
Ängste entstehen oft, wenn Hilflosigkeit und Kontrollverlust erlebt werden, das totale Verschwinden der Selbstwirksamkeit. Der Hund kann also nur Fortschritte machen, wenn er erleben darf, dass er in Situationen nicht hineingezwungen wird, sondern selber Entscheidungen treffen darf. Und sein Mensch immer für ihn da ist.
No Go’s im Umgang mit Angsthunden sind:
- Bestrafung: Bestrafung verstärkt die Angst und das Vermeidungsverhalten und schädigt die Mensch-Hund-Beziehung.
- Zwang: Den Hund in angstauslösende Situationen zu zwingen, verschlimmert die Angst und kann zu aggressivem Verhalten führen. Das klassische “Du musst ihm nur zeigen, dass ihm nix passiert.” ist kein Trainingsansatz, sondern Tierquälerei.
- Ignoranz: Die Angst des Hundes zu ignorieren, hilft ihm nicht, seine Ängste zu bewältigen.
Warum strafbasierte Methoden fachlich schaden und rechtlich heikel sind, erfährst du im Abschnitt „Aversives Training: Warum es nicht hilft bei Angsthunden“.
Mythos: Du darfst deinen Hund nicht trösten, wenn er Angst hat!
Angst ist eine Emotion. Und Emotionen lassen sich nicht verstärken, indem man etwas Positives (freundliche Ansprache, Körperkontakt, Berührung, Leckerli oder Futter) hinzufügt. Das ist biologisch nicht möglich! Also lass dir nichts einreden: Wenn dein Hund Angstverhalten zeigt, unterstütze ihn, sei für ihn da und sei achtsam, was er in dieser Situation als angenehm und unterstützend empfindet.
Wenn du deinem Hund in einer Ausnahmesituation den Kontakt entziehst, verschlimmert du die Situation nur: “Wenn es richtig schlimm wird, kann ich mich nicht auf meinen Menschen verlassen!”
Mythos: Du musst den Hund nur oft genug in die Situation bringen, dann lernt er, dass ihm nix passiert!
Einer der grausamsten Trainingsmethoden für Angsthunde, die leider noch weit verbreitet sind, obwohl tierschutzwidrig und verboten: Den Hund absichtlich in Situationen führen, wo er Angst hat. Frei nach dem Motto: “Schleif ihn nur oft genug dorthin, dann wird er irgendwann merken, dass ihm nix passiert.”
Der Fachbegriff hierfür ist “Flooding”. Also das “Überfluten” mit Angstauslösern. Der Hund wird dafür so verwahrt bzw. festgehalten, dass er nicht flüchten kann. Er ist also den Angstauslösern unreflektiert und ohne jegliche Strategie vollkommen ausgeliefert. Die meisten Hunde geben irgendwann auf, weil sie nicht mehr können. Das verkauft der aversive Trainer dann als Trainingserfolg.
In Wirklichkeit werden die Hunde emotional kaputt gemacht: Der Hund wirkt teilnahmslos, zeigt kein Abwehr-/Flucht- oder sonstiges Verhalten mehr, fühlt sich hilf- und machtlos. In der Fachsprache nennen wir das “erlernte Hilflosigkeit”. Jeder Mensch mit etwas Empathie für seinen Fellfreund kann sich sicherlich vorstellen, wie grausam so ein Erlebnis ist.
Du glaubst das nicht? Dann lass mich ein Beispiel erzählen:
Wenn du mich in einen Käfig voller Spinnen steckst, werde ich das sicher aushalten. Und überleben. Ich werde danach aber garantiert nicht weniger Angst vor Spinnen haben.
Wenn du mich nun regelmäßig in den Käfig mit Spinnen steckst, mir jede Fluchtmöglichkeit wegnimmst und diese grausigen Spinnen dann auf mich zu, um mich herum und auf mich drauf krabbeln, sollte ich ja eigentlich weniger Angst bekommen. Man muss es nur oft genug machen.
Ernsthaft? Das Einzige, was ich dadurch lernen werde: Du (also du, der mich in den Käfig mit den Spinnen gesperrt hast) hilfst mir nicht.. Spinnen sind mindestens so gefährlich, wie ich vermutet habe und ich habe zurecht panische Angst vor den Viechern. Ich bin handlungsunfähig – hinter mir die abgeschlossene Türe und vor mir die grausigen Viecher – und knapp vor der Ohnmacht.
Kommt dann noch zusätzlich Druck von außen hinzu, indem du jedes Mal gegen den Käfig donnerst, wenn ich nur die geringste Aktion zeige, habe ich nicht nur Angst vor den Viechern, sondern auch vor dir bzw. den Konsequenzen die auf meine Hilfeschreie folgen.
Ich bin irgendwann psychisch am Ende und sehe schon Spinnen, wo gar keine sind. Ich werde reizbarer, aggressiver, entwickle möglicherweise Stereotypien, die mir helfen, mit dieser Belastung klarzukommen. Mein Magen wird unter dem Stress leiden, ich werde Unverträglichkeiten entwickeln, Durchfall oder Erbrechen zeigen.
Diese Maßnahmen der psychischen Gewalt, der ich ausgesetzt war, haben also massiv meiner Gesundheit und meinem Wohlbefinden geschadet. Eine Strategie, mit den kleinen grauslichen Viechern mit unzähligen Beinchen und Härchen klarzukommen, hab ich aber immer noch nicht, meine Angst wurde stärker. Mein Überlebensmodus läuft auf Hochtouren. Nicht mehr rational erklärbar, alles passiert auf der emotionalen Ebene.
Wie soll dein Angsthund also lernen, dass er keine Angst haben muss, wenn er tagtäglich übt, Angst zu haben?
Aus der Praxis: Zwei Angsthunde – zwei völlig unterschiedliche Entwicklungen
Kürzlich hatte ich 2 Beratungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Die Ausgangslage aber war ähnlich: Angsthund aus dem Ausland, teils panisch, zu wenig / gar nichts / nur Schlimmes erlebt (Deprivation) in der sensiblen Welpen- und Junghundephase. Und möglicherweise auch traumatische Erfahrungen gemacht.
Der eine Hund wurde im Shelter groß und lebte dort mehrere Jahre, der andere wurde auf einer Puppy Farm geboren und verbrachte die ersten Monate dort. Beides keine idealen Voraussetzungen, damit das Hundegehirn gute Lernerfahrungen macht.
Das Gehirn solcher Hunde ist ein Leben lang instabiler, ist auch mit normalen Reizen sehr schnell überfordert und reagiert grundsätzlich pessimistisch auf Neues.
Fall 1: Bedürfnis- und bindungsorientiert von Anfang an
Der eine Hund kam zu sehr engagierten Hundemenschen, die sofort bemerkt haben, dass ihr Hund ganz viel Unterstützung von ihnen braucht. Die bemerkt haben, dass ihr Tierschutzhund nicht so „funktioniert“, wie ihr voriger Hund vom Züchter. Und deswegen versucht haben, Dinge anders zu machen – aus einem Bauchgefühl heraus.
Menschen, die behutsam ihren Hund an Neues heranführen, die versuchen, ihn nicht zu überfordern. Menschen, die verstehen wollen, was er braucht. Menschen, die Verhaltensweisen annehmen und nicht abstellen wollen. Menschen, die nicht versuchen, den Hund in einen Alltag zu pressen, für den er (noch) nicht bereit ist. Menschen, die sich fragen, was dieser Hund braucht, um sich langfristig in seinem Alltag zurechtzufinden. Was er braucht, um sich in seiner Umwelt angstfrei bewegen zu können.
Und Menschen, die sich bei den ersten Anzeichen von Schwierigkeiten professionelle Unterstützung mit modernem Hundewissen gesucht haben. Weil sie sicher gehen wollen, dass sie im Sinne des Hundes handeln und nichts falsch machen.
Die Folge: Nach einigen Monaten Zusammenleben entwickelt sich der Hund sehr gut, zeigt neue Verhaltensweisen, die Wohlbefinden und Sicherheit voraussetzen. Wird mutiger. Traut sich selbst mehr zu. Bekommt Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeit und lernt, dass viele Reize keine Bedrohung für ihn darstellen. Und auch seine Menschen wachsen mit dieser neuen Aufgabe, lernen sehr viel dazu, löschen alte Mythen aus ihren Köpfen und stellen sich 100% auf ihren Hund ein.
Fall 2: Vom „alten Hundetraining“ zur gewaltfreien Begleitung
Der andere Hund kam auch zu sehr engagierten Hundemenschen, die mit ihrem panischen Angsthund zeitnah nach Einzug den Welpen- und Junghundekurs besucht haben. Die Menschen mussten aber bald feststellen, dass alles, was am Hundeplatz funktionierte, draußen gar nicht abrufbar war. Und ihr Hund hier nicht am richtigen Ort ist. Auf der Suche nach Einzeltraining landeten sie im aversiven Hundetraining bei einem sehr bekannten Trainer. Das strafbasierte Training fragt nicht nach dem „Warum?“ für ein Verhalten. Man wartet nur darauf, dass der Hund sich falsch verhält, um ihn dann für sein Verhalten zu strafen. Völlig egal, aus welchem Grund der Hund das Verhalten zeigt. Völlig egal, in welcher psychischen Verfassung der Hund ist.
In diesen Trainings wurde leider die ganze Latte an gewaltsamen Methoden angewandt, die ausschließlich deswegen funktionieren, weil sie den Hund erschrecken, noch mehr Angst in ihm auslösen und/oder Schmerzen verursachen. Diesen Weg sind die Hundemenschen einige Jahre gegangen. Doch sie haben bemerkt, dass das Training irgendwie nicht funktioniert. Dass ihr Hund in keinster Weise weniger Angst hat. Verhaltensweisen sogar noch intensiver werden. Sie haben sich auch nicht sehr wohl gefühlt dabei – genauso wie ihr Hund.
Die Folge: Aus dem panischen Angsthund, der einfach nur weg will, ist nun ein Hund geworden, der auf Angriff geht und Menschen und Hunde beißt. Weil er keine andere Möglichkeit mehr sieht, mit Bedrohungen und Aufgaben, die der Alltag an ihn stellt, umzugehen. Seine Angst ist geblieben, nur die Strategie, wie er mit schwierigen Situationen umgeht, hat sich verändert.
Der „aggressive Problemhund“ ist also in Wahrheit ein völlig verängstigter Hund, der gelernt hat, dass seine Hilfeschreie nicht als solche erkannt werden. Und deswegen noch lauter seine Überforderung zum Ausdruck bringt. Denn Fluchtversuche sind im aversiven Training zwecklos, da dieses Verhalten sofort gestraft wird. Manchmal mit einem harmlos wirkenden Leinenruck (aua!), oftmals werden dem Hund Dinge hinterhergeworfen wie Klapperdosen, Wurfschellen, Trainingsdiscs (wtf!?!), er wird unsanft in die Ohren oder Flanken gezwickt (aua!) oder gar zu Boden gedrückt (Hallo Alphawurf! Die 70er lassen grüssen!).
Aus dem Angsthund, der einfach nur Situationen verlassen wollte, wurde so mit der Zeit eine tickende Zeitbombe, die irgendwann explodiert ist. Ganz einfach weil er nicht mehr kann. Am Rande des Nervenzusammenbruchs steht. Und nicht, weil er ein böser, aggressiver Hund ist. Dieser Hund braucht keinen (selbsternannten) Problemhundetrainer, keine Maßregelung und auch keine harte Hand. Dieser Hund ist psychisch am Ende – und benötigt Menschen, die ihn wieder aufrichten. Behutsam. Fair. Und gewaltfrei.
Es wird ein langer Weg, diesem Hund wieder das Vertrauen in seine Menschen zurückzugeben. Das Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten. Und das Vertrauen, dass er alles schaffen kann – mit der Unterstützung seiner Menschen.
Aversives Training: Warum es deinem Angsthund nicht hilft
Aversives Training arbeitet mit Strafe, Schmerz, Einschüchterung oder Druck (z.B. Leinenruck, „Raumverwaltung“, Wurfketten, Ignorieren/Isolation, Flooding). Ziel ist Verhaltensunterdrückung – nicht Verstehen. Gewalt im Hundetraining hat viele Gesichter und viele schöne, neue Worte – drinnen ist jedoch der alte Mist aus den 70ern.
Warum schadet es?
- Es erhöht Angst, Stress und Unsicherheit und verschiebt Probleme oft in Aggression (Strategie „Fight“), statt sie zu lösen.
- Es zerstört Vertrauen und Bindung – die zentrale Basis, damit Lernen überhaupt stattfinden kann.
- Hunde lernen, Signale und Situationen mit Bedrohung zu verknüpfen; das Verhalten wird allenfalls leiser, die Emotion bleibt.
Rechtlicher Rahmen (Kurzüberblick D-A-CH):
Bestimmte strafbasierte Methoden und Hilfsmittel sind tierschutzrechtlich unzulässig. Unabhängig von nationalen Details gilt: Maßnahmen, die Schmerz, Leid oder erhebliche Angst verursachen, sind nicht mit einem tierschutzkonformen Umgang vereinbar.
Die Alternative?
Bedürfnis- und bindungsorientierter Umgang: Sicherheit herstellen, Distanz managen, kleinschrittig trainieren, realistische Ziele haben, ggf. verhaltensmedizinische Unterstützung hinzuziehen. So wird aus Verhaltensunterdrückung echtes Lernen.
Merke: Unterdrückte Angst ist keine gelöste Angst!
So kannst du deinem Angsthund helfen
Ängste sind nicht festgemauert fürs Leben. Das Angstmuster, das die Hunde zeigen, hat ihnen einmal das Überleben gesichert. Nehmen wir zum Beispiel den ehemaligen Straßenhund, der Gefahren gegenüber sehr wachsam sein musste, damit er auf der Straße überleben kann. In seinem neuen Zuhause mit kuscheligem Körbchen muss er längst nicht mehr wachsam sein, dennoch ist das uralte Überlebensprogramm fest in diesem Hund verankert.
Das Training mit Angsthunden erfordert daher viel Geduld, Einfühlungsvermögen und vor allem Fachwissen. Ein normaler Trainer ist darauf oft nicht ausreichend geschult (Ausnahmen bestätigen die Regel), 0815-Training hilft bei einem Angsthund nicht und Locken ist sowieso der falsche Weg. Genauso wie die Ansage, dass er sich nicht so anstellen soll.
Empowerment, Enrichment und Beziehungsarbeit sind drei Schlagwörter, die für mich in jeder Mensch-Hund-Beziehung ganz oben stehen, aber bei Angsthunden DER Schlüssel zur Veränderung sind.
Veränderungen und Fortschritte sind sehr individuell und von den Erfahrungen des Hundes, etwaigen Vorbelastungen und seiner Persönlichkeit abhängig. Das Ziel sollte jedoch immer sein, Lebensqualität für Hund und Mensch herzustellen. Der Angsthund wird ein Leben lang ein Hund mit besonderen Bedürfnissen bleiben, also ein Hund, der “mehr” braucht: Mehr Achtsamkeit, mehr Unterstützung, mehr Management, mehr Empathie und auch mehr Wissen.
Zeigt der Hund Ängste, die sein Leben stark beeinträchtigen oder auch das Leben seines Menschen beeinträchtigen, sollte man mit einem Verhaltensmediziner über den Einsatz von Medikamenten sprechen. Damit Lernen überhaupt möglich gemacht wird. Und der Leidensdruck möglichst rasch gesenkt wird.
Was der Angsthund braucht, um langfristig weniger Angst zu haben
- Eine Bezugsperson, die ihn nicht in Situationen bringt, die er nicht schaffen kann.
- Eine Bezugsperson, die verlässlich und berechenbar ist.
- Eine Bezugsperson, von der niemals Strafe oder gar Gewalt ausgeht.
- Eine Bezugsperson, die erkennt, wo Bedürfnisgläser leer sind – denn diese müssen gefüllt werden, damit sich Wohlbefinden einstellen kann.
- Eine Bezugsperson, die bereit ist, die eigenen Ansprüche und Erwartungen an den Hund auf Null zu reduzieren.
- Eine Bezugsperson, die den Alltag so gestaltet, dass der Hund ihn schaffen kann.
- Eine Bezugsperson, die bereit ist, kleinschrittig und damit nachhaltig neue Verhaltensweisen aufzubauen.
- Eine Bezugsperson, die dazulernen möchte und ihr Hundewissen auf den neuesten Stand der Wissenschaft bringt.
- Eine Bezugsperson, die bereit ist, kleine Schritte zu gehen und keine plötzlichen Wunder erwartet.
Nimm die Ängste deines Hundes ernst - er hat nur dich!
Angstverhalten bei Hunden ist ein ernstzunehmendes Problem, das die Lebensqualität des Hundes und seiner Menschen stark beeinträchtigen kann. Mit Geduld, Verständnis und professioneller Hilfe können Angsthunde lernen, ihre Ängste zu bewältigen und ein entspannteres Leben zu führen.
Nimm die Ängste deines Hundes ernst – er braucht dich!
Bedürfnis- und bindungsorientierter Umgang ist die Grundvoraussetzung, um Tierschutzhunden den Einstieg in ihr neues Leben zu erleichtern. Schaffbar zu machen. Im Tempo des Hundes. Angepasst an die individuelle Situation und die persönlichen Möglichkeiten. Immer das Wohlbefinden des Hundes im Blick.
Kein 0815 Training.
Kein Sitz! Platz! Bleib!
Kein Aushalten.
Kein Müssen.
Keine Gewalt.
Sondern echtes Verstehen. Achtsames Begleiten. Und einen Alltag, den dein Hund wirklich schaffen kann – in seinem Tempo, mit deiner Hilfe.
Exkurs: Angststörung beim Hund
Auch unsere Hunde können unter einer generalisierten Angststörung leiden. Diese Hunde haben im Laufe des Tages überwiegend Angst, sind permanent in Alarmmodus, sehr reaktiv und wachsam. Meist handelt es sich dabei um traumatisierte Hunde, deprivierte Hunde oder Hunde, die unter chronischem Stress leiden.
Angststörungen beeinträchtigen die Lebensqualität der betroffenen Hunde und ihrer Menschen erheblich.
Übermäßige Angst und Furcht gehen oft mit einem hohen Maß an (Angst-)Aggression gegenüber unbekannten Menschen und Hunden einher. Auch zeigen diese Hunde eine motorische Unruhe, Überreiztheit, Nervosität und Konzentrationsschwierigkeiten. Auch hier macht die Unterstützung mit Psychopharmaka im Einzelfall Sinn. Du benötigst unbedingt die Expertise eines Verhaltensmediziners, der ausreichend Erfahrung mit Angsthunden hat.
Häufige Fragen zum Angsthund
Kann man einen Angsthund heilen?
Das hängt stark davon ab, um welche Art von Angst es sich handelt. Eine spezifische Angst (z.B. nur vor Mülltonnen, Gewitter oder bestimmte Geräusche) lässt sich oft deutlich besser bearbeiten als eine generalisierte Angststörung.
Bei fokussierten Ängsten sind die Erfolgsaussichten gut, der Hund kann lernen, entspannt mit der Situation umzugehen.
Bei generalisierten Ängsten geht es eher darum, die Lebensqualität zu verbessern und dem Hund Bewältigungsstrategien an die Hand zu geben. Der Fokus liegt immer auf Lebensqualität, nicht auf „Heilung“.
Darf ich meinen Angsthund trösten?
Ja, unbedingt! Der Mythos, dass Trösten Angst verstärkt, ist wissenschaftlich widerlegt. Emotionen lassen sich nicht durch positive Zuwendung verstärken. Dein Hund braucht deine Unterstützung.
Wie erkenne ich, ob mein Hund Angst hat?
Typische Anzeichen sind: Zittern, Hecheln, Rückzug, eingeklemmte Rute, geweitete Pupillen, Erstarren,oder auch aggressives Verhalten. Manche Hunde zeigen auch Übersprungshandlungen wie Gähnen oder Kratzen.
Wie lange dauert das Training mit einem Angsthund?
Das ist sehr individuell und hängt von vielen Faktoren ab. „Angst zieht Kreise“ – je stärker die Angst, desto länger der Weg. Geduld ist hier das wichtigste. Es geht um langfristige Verbesserung, nicht um schnelle Erfolge.
Was ist der Unterschied zwischen Angst und Furcht beim Hund?
Furcht bezieht sich auf eine konkrete, erkennbare Bedrohung. Angst ist eine diffuse, innere Anspannung ohne klar erkennbaren Auslöser. Beide Emotionen sind jedoch ernst zu nehmen.
Können Medikamente bei Angsthunden helfen?
In schweren Fällen, besonders bei generalisierten Angststörungen, können Medikamente als Unterstützung sinnvoll sein. Dies sollte immer mit einem auf Verhaltensmedizin spezialisierten Tierarzt besprochen werden. Medikamente ersetzen jedoch nie das Training.

Daniela Loibl - Hundeverhaltensberaterin
Ich begleite Hunde, die mit den Anforderungen des neuen Lebens überfordert sind - und Menschen, die verstehen wollen, warum. Mein Hund Happy, ein ehemaliger Kettenhund mit komplexer PTBS, hat mir gezeigt, was fundiertes Wissen, Geduld und ein tieferes Verständnis für Verhalten bewirken können, wenn Training allein nicht reicht. Mein Ansatz basiert auf verhaltensbiologischen und neuropsychologischen Erkenntnissen - modern, bindungsorientiert und 100 % gewaltfrei.
Bereit, deinem Angsthund wirklich zu helfen?
In meiner 1:1 Beratung entwickeln wir gemeinsam einen individuellen Plan für dich und deinen Hund.
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